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Donnerstag, 12. Juli 2012

Goethe zum Plagiieren

(Unser größter Poet habe nur Geschmack, behauptete Jemand.) –
»Geschmack ist überhaupt der Charakter des neuesten Zeitraums – ich möchte es nicht ableugnen, so wenig wie bei Raphael: denn dieser braucht früher erfundene Motive als die rechten und wahren, aber mit dem höchsten Geschmack, und statt des Religiösen (doch nur des positiv Religiösen) hat er die Weisheit oder die Einsicht in Welt und Menschheit, und wenn er Erfindung hat, so hat er sie auf dieser Seite, d.h. Entdeckung.«
(Goethe: Gespräche mit Friedrich Wilhelm Riemer, 1810 http://tinyurl.com/d4r6kwr)

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»Ich will doch lieber in meiner stillen und unangefochtenen Wohnung soviel dictiren und copiren, und drucken und liegen lassen, damit es hinausgehe, oder hinnen bleibe; damit jeder, wie du ganz richtig fühlst, verschweigen könne woher er's hat, und denn doch das ganze Menschenwesen ein bißchen aufgestutzt werde.

Die sämmtlichen Narrheiten von Prä- und Postoccupationen, von Plagiaten und Halbentwendungen sind mir so klar und erscheinen mir läppisch. Denn was in der Luft ist und was die Zeit fordert, das kann in hundert Köpfen auf einmal entspringen ohne daß einer dem andern abborgt. Aber – hier wollen wir Halt machen, denn es ist mit dem Streit über Priorität wie über Legitimität, es ist niemand früher und rechtmäßiger als wer sich erhalten kann.«

(Goethe an Carl Friedrich Zelter am 7. November 1816 http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Briefe/1816)

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»Im Grunde aber sind wir alle kollektive Wesen, wir mögen uns stellen, wie wir wollen. Denn wie weniges haben und sind wir, das wir im reinsten Sinne unser Eigentum nennen! Wir müssen alle empfangen und lernen, sowohl von denen, die vor uns waren, als von denen, die mit uns sind. Selbst das größte Genie würde nicht weit kommen, wenn es alles seinem eigenen Innern verdanken wollte. Das begreifen aber viele sehr gute Menschen nicht und tappen mit ihren Träumen von Originalität ein halbes Leben im Dunkeln. Ich habe Künstler gekannt, die sich rühmten, keinem Meister gefolgt zu sein, vielmehr alles ihrem eigenen Genie zu danken zu haben. Die Narren! Als ob das überhaupt anginge! Und als ob sich die Welt ihnen nicht bei jedem Schritt aufdränge und aus ihnen, trotz ihrer eigenen Dummheit, etwas machte! Ja ich behaupte, wenn ein solcher Künstler nur an den Wänden dieses Zimmers vorüberginge und auf die Handzeichnungen einiger großer Meister, womit ich sie behängt habe, nur flüchtige Blicke würfe, er müßte, wenn er überhaupt einiges Genie hätte, als ein anderer und Höherer von hier gehen.«

»Und was ist denn überhaupt Gutes an uns, wenn es nicht die Kraft und Neigung ist, die Mittel der äußeren Welt an uns heranzuziehen und unseren höheren Zwecken dienstbar zu machen. Ich darf wohl von mir selber reden und bescheiden sagen, wie ich fühle. Es ist wahr, ich habe in meinem langen Leben mancherlei getan und zustande gebracht, dessen ich mich allenfalls rühmen könnte. Was hatte ich aber, wenn wir ehrlich sein wollen, das eigentlich mein war, als die Fähigkeit und Neigung, zu sehen und zu hören, zu unterscheiden und zu wählen, und das Gesehene und Gehörte mit einigem Geist zu beleben und mit einiger Geschicklichkeit wieder zu geben. Ich verdanke meine Werke keineswegs meiner eigenen Weisheit allein, sondern tausenden von Dingen und Personen außer mir, die mir dazu das Material boten. Es kamen Narren und Weise, helle Köpfe und bornierte, Kindheit und Jugend, wie das reife Alter; alle sagten mir, wie es ihnen zu Sinne sei, was sie dachten, wie sie lebten und wirkten und welche Erfahrungen sie sich gesammelt, und ich hatte weiter nichts zu tun, als zuzugreifen und das zu ernten, was andere für mich gesäet hatten.«

»Es ist im Grunde auch alles Torheit, ob einer etwas aus sich habe, oder ob er es von andern habe; ob einer durch sich wirke, oder ob er durch andere wirke; die Hauptsache ist, daß man ein großes Wollen habe und Geschick und Beharrlichkeit besitze, es auszuführen; alles übrige ist gleichgültig. – Mirabeau hatte daher vollkommen recht, wenn er sich der äußeren Welt und ihrer Kräfte bediente, wie er konnte. Er besaß die Gabe, das Talent zu unterscheiden, und das Talent fühlte sich von dem Dämon seiner gewaltigen Natur angezogen, so daß es sich ihm und seiner Leitung willig hingab. So war er von einer Masse ausgezeichneter Kräfte umgeben, die er mit seinem Feuer durchdrang und zu seinen höheren Zwecken in Tätigkeit setzte. Und eben, daß er es verstand, mit anderen und durch andere zu wirken, das war sein Genie, das war seine Originalität, das war seine Größe.«
(Goethe am 17. Februar 1832 (In Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in der letzten Jahren seines Lebens  http://www.wissen-im-netz.info/literatur/goethe/biografien/eckermann/3-1830ff/18320217.htm)

(Siehe dazu aber auch
Goethes Kampf um den gesetzlichen Schutz seines geistigen Eigentums
http://juttas-zitateblog.blogspot.de/2012/06/goethes-kampf-um-den-gesetzlichen.html)

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